Jörg Hackmann
Stand: 04.01.2021
Ich beginne mit zwei Vorbemerkungen. Erstens: Dieser Text schildert und reflektiert meine persönlichen Erfahrungen in der Corona-Krise im Frühjahr 2020. Insofern unterscheidet er sich zunächst von den vorausgehenden Beiträgen dieses Blogs, die wissenschaftliche Erklärungsansätze darbieten und die Auswirkungen auf die Grenzforschung diskutieren.[1] Zur Einordnung meines Berichts schicke ich zweitens ein paar Sätze zu meiner Person voraus: Seit 2007 bin ich (mit Unterbrechungen) am Historischen Institut der Universität Szczecin tätig und habe recht enge Kontakte zu den grenznahen deutschen Universitäten Greifswald und Frankfurt / Oder. Mein privater Lebensmittelpunkt lag in den vergangenen Jahren in Münster. Ohne den Wegfall der Grenzkontrollen, seitdem Polen Teil des Schengenraums geworden ist, wären diese Lebensform und meine transnationalen Aktivitäten nur schwer möglich gewesen. Insofern habe ich den Wandel der deutsch-polnischen Grenze zu einer im Alltag kaum bemerkbaren Linie als willkommene Normalität betrachtet. Um so härter haben mich die Ereignisse im März getroffen, obwohl mir als Historiker eigentlich bewusst ist, dass die Geschichte nicht als ein Prozess stetigen Fortschritts verläuft, sondern ebenso plötzliche wie unerwartete Entwicklungen nehmen kann, die eher als Rückfall in vergangene und als überwunden geglaubte Zustände erscheinen. So habe ich das Frühjahr wahrgenommen, das für mich so etwas wie eine Phantomzeit war, in der ich von den Entwicklungen in Stettin abgeschnitten war, ohne zu wissen, wie lange der Zustand denn anhalten und was danach kommen würde.
Aber der Reihe nach: Ich beschreibe zunächst mein Phantom-Frühjahr im Jahr 2020 ohne Stettin und schließe daran einige Reflexionen zur Situation in der deutsch-polnischen Grenzregion an der unteren Oder an.Aber der Reihe nach: Ich beschreibe zunächst mein Phantom-Frühjahr im Jahr 2020 ohne Stettin und schließe daran einige Reflexionen zur Situation in der deutsch-polnischen Grenzregion an der unteren Oder an.
Meine unmittelbaren Erfahrungen mit der Corona-Zeit in Stettin begannen am 11. März, als in den Zügen von Angermünde nach Stettin, wenige Tage bevor der grenzüberschreitende Zugverkehr dann ganz eingestellt wurde, Sicherheitskräfte der polnischen Eisenbahn begannen, Fiebermessungen bei den Passagieren vornehmen. Ich war den Kontrolleuren zunächst durch die Lappen gegangen, als ich am Bahnhof Gumieńce ausstieg, der seine frühere Funktion als Grenzstation längst verloren hat. Sie hatten die Kontrollen im Zug bereits begonnen und als sie auf mich aufmerksam wurden, hatte ich den Bahnsteig schon verlassen und sie mussten mir in einem Sprint nachsetzen. Dann versagte auch noch das Fieberthermometer seinen Dienst und nach einem etwas ruppigen Wortwechsel ließen sie mich ziehen. Als am Tag darauf die Schließung der polnischen Grenzen verkündet wurde, war ich in Warschau auf einer Sitzung des DAAD zur Auswahl von Stipendiat*innen. Nach einem kurzen Moment der Ratlosigkeit, ob wir unter den Umständen denn zusammensitzen und tagen können, beschlossen wir, unsere Arbeit ohne die Bewerber*innen aufzunehmen, die bereits vom Pförtner abgewiesen worden waren, um ihnen nicht die Chance auf ein Stipendium zu nehmen. Die Atmosphäre war etwas gespenstisch und voller Gerüchte: der gesamte Gebäudekomplex müsse schnellstmöglich desinfiziert werden, da sich eine mit COVID-19 infizierte Person in ihm aufgehalten habe, so hieß es. Jemand berichtete, der Flughafen sei bereits geschlossen worden und die deutsche Botschaft würde die Ausreise der deutschen Staatsbürger*innen koordinieren, kurzum, es war beinahe so, als sei plötzlich ein Krieg ausgebrochen. An den Gerüchten war wenig dran, wie sich zeigte, aber die aufziehende Krise ließ sich in Echtzeit studieren. Tatsächlich war in Warschau auf den Straßen noch wenig zu spüren, aber alle öffentlichen Institutionen waren von heute auf morgen geschlossen worden und mein Plan, mich mit einer Doktorandin im Jüdischen Historischen Institut zu treffen, war illusorisch geworden. Ich konnte aus Warschau dennoch wie geplant und ungehindert über den Flughafen abreisen, saß danach dann aber in meinem Münsteraner Domizil fest und staunte über die folgenden Ereignisse, deren Nachrichten mich in der Ferne erreichten.
Ein Stettiner Kollege, zugleich französischer Honorarkonsul, sah sich herausgefordert, kurzfristig mitten in der Nacht die Ausreise von in Stettin gestrandeten französischen Tourist*innen zu organisieren. Sie mussten mit dem Taxi bis zur Grenze bei Schwedt fahren, sich auf der deutschen Seite der Grenze ein Hotel und dann einen Mietwagen suchen, um schließlich nach Frankreich zurückzukommen. Noch merkwürdiger waren die Erfahrungen einer Mitarbeiterin des DAAD, die Ende März von Warschau nach Bonn zurückkehren sollte. Sie hatte das große Glück, dass nach den anfänglichen Grenzschließungen die Stadtbrücke zwischen Frankfurt und Słubice wieder geöffnet worden war, denn sie konnte die deutsch-polnische Grenze nur zu Fuß überqueren, da der grenzüberschreitende Bahn- und Busverkehr gänzlich eingestellt worden war. Und Robert Ryss aus Chojna berichtete, dass er mehrfach per SMS vom polnischen Gesundheitsamt aufgefordert worden sei, sich in Quarantäne zu begeben, da sein Mobiltelefon in einem deutschen Netz geortet worden sei, obwohl er die Grenze nicht überschritten hatte.
Die Folgen des Lockdown zeichneten sich in meinem Münsteraner Exil erst allmählich ab. Alles in allem wurde ich nicht mit fundamentalen Problemen konfrontiert und hatte die Zeit, ein größeres Buchprojekt unter Einhaltung der vereinbarten Fristen abzuschließen, was unter normalen Umständen schwierig geworden wäre. Der Kontakt nach Stettin beschränkte sich fortan auf digitale und telefonische Kommunikation. Die Umstellung auf Online-Lehre, wenngleich ohne jedwede vorherige technische Vorbereitung, funktionierte vom häuslichen Schreibtisch weitgehend reibungslos. Das lag nicht zuletzt daran, dass ich in diesem Semester ohnehin nur wenige Studierende in meinen Lehrveranstaltungen hatte. Für das Doktorand*innen-Seminar hatten die Online-Termine den Vorteil, da wir nun Berlin, Stettin und Posen miteinander verbinden konnten und uns fragten, warum wir das eigentlich nicht schon früher versucht hatten. Als ein Vorteil digitaler Kommunikation stellte sich auch heraus, dass sich manche Dinge schneller über eine Videokonferenz klären lassen als in größeren face-to-face-Gesprächsrunden. Auch die Verlagerung der Stettiner Institutsversammlungen in den virtuellen Raum empfand ich zeitökonomisch als Vorteil. Die Probleme lagen jedoch anderswo: Gespräche am Rande und alltägliche Begegnungen im Institut fielen nun weg und damit kamen manche Projekte ins Trudeln oder zum Erliegen. Zudem waren die Planungen für das Sommersemester jenseits der Lehre, unter anderem mit der Vorbereitung einer Ehrenpromotion, sofort Makulatur, und angesichts der Ungewissheit, wann denn die Grenze für nicht polnische Staatsbürger wieder passierbar sein werde, war jede kurzfristige Verschiebung von vornherein ausgeschlossen.
Mit der Zeit wurde die Ungewissheit, wie lange der Zustand andauern würde, dann zum größten Problem. Anfangs gab es Gerüchte und Hoffnungen, die Universität werde nach Ostern wieder zugänglich sein, dann verschoben sich die Termine nach hinten, bis klar wurde, dass die Frage nach dem Zugang zum Institut ohnehin nur noch von nachrangiger Bedeutung war. Als sich abzeichnete, dass die Grenzschließung so schnell nicht beendet werden würde, kamen Diskussionen auf, ob man nicht doch die deutsch-polnische Grenze überqueren könne und wer über eine Quarantäne entscheiden würde. Ich fragte mich, ob ich bei einem solchen Versuch möglicherweise zweimal 14 Tage in Quarantäne müsste, zunächst bei der Einreise nach Polen und dann bei der Rückkehr nach Deutschland. Da der gesamte Bahn- und Busverkehr eingestellt worden war, wäre ohnehin nur eine Anreise mit dem Auto möglich gewesen. Auch wenn ich die Bedingungen die Einreise ohne Quarantäne nach Polen wohl erfüllt hätte, erschien mir die Situation an der deutsch-polnischen Grenze zu undurchsichtig, um es darauf ankommen zu lassen, da mir widersprüchliche Berichte über ihre (Un-)Durchlässigkeit zu Ohren kamen. Angesichts der Ungewissheit, ob ich die Grenze tatsächlich ohne Auflagen passieren könnte, war der Aufwand der Anreise schlicht zu groß. Zudem war die Universität wie anderswo auch geschlossen, so dass ich nur meine Stettiner Wohnung hätte aufsuchen können. De facto bin ich dann erst wieder nach der Wiederöffnung der Grenzen Mitte Juni nach Stettin gefahren und war perplex: Es schien alles wie vor dem Lockdown zu sein: Keinerlei Grenzkontrollen, nicht einmal Relikte von Barrieren oder Zelten. Geschäfte und Restaurants waren geöffnet wie sonst auch, die Maskenpflicht wurde deutlich laxer gehandhabt als in Deutschland, kurzum: es schien sich kaum etwas verändert zu haben – die zahlreichen Berichte über Ausgangsbeschränkungen, das Verbot Parks und Friedhöfe zu betreten, erschienen mir wie Berichte aus einer anderen Welt, die sich in keiner Weise mit meinen Erfahrungen deckten.
Dennoch: Der Lockdown war real gewesen. Und damit komme ich jetzt zu meinen Beobachtungen aus der Ferne zur Grenzregion in der Corona-Krise. Hier wurde mein bislang optimistisches Bild einer eng zusammengewachsenen deutsch-polnischen Grenzregion heftig erschüttert. Da war zunächst die Rückkehr der harten, undurchlässigen Grenze, und zwar nicht nur als politische Praxis, sondern auch in den Köpfen. Dass bewaffnete polnische Grenztruppen zur Sicherung der Grenze abgestellt wurden, erinnerte an längst vergangene Zeiten. Als Präsident Duda Stettin Mitte März in militärischem Outfit besuchte, betonte er, dass diese Region in besonderer Weise durch die Vielzahl von Grenzen zu Wasser, Land und Luft gesichert werden müsse[2], ganz so als ob Polen vor dem vermeintlich ausländischen Virus mit militärischen Mitteln geschützt werden könnte. Deutlich sichtbar wurde nun, dass die Entscheidungen, die die Grenze betrafen, in Warschau getroffen und vom Wojewoden, dem Vertreter der Regierung in der Region, vor Ort durchgesetzt wurden, wohingegen die örtlichen und regionalen Institutionen nichts zu sagen hatten. Während die polnischen Behörden durch martialische Symbolpolitik wie die Absperrung der Grenzen mit Betonblöcken und Stacheldraht ihre Macht demonstrierten, wie der Stettiner Journalist Bogdan Twardochleb berichtete[3], tauchte die Schließung der deutsch-polnischen Grenze in den deutschen überregionalen Medien dagegen praktisch gar nicht auf, im Gegensatz zu den Grenzen zu den Nachbarn Deutschlands im Westen, Süden und Norden. Oder genauer betrachtet, spiegelte sich die Grenzschließung als Problem eigentlich nur im Rückstau von LKWs an den Grenzübergängen und im Fernbleiben polnischer Grenzpendler*innen – die Ursachen für die Abschottung schienen also allein auf der polnischen Seite zu liegen.

Ganz so einseitig stellt sich die Urheberschaft für die Rückkehr zur harten Grenze und zur Krise der Grenzregion bei genauerem Hinsehen jedoch nicht dar. In beiden Ländern dominierte eine nicht hinterfragte Rückkehr zu dem Prinzip des „swój do swego“ („Jeder zu den Seinen“). Es schien völlig normal zu sein, dass sich alle Landsleute unverzüglich in ihre Heimat begeben müssten, ohne darüber nachzudenken, ob das nicht die Ausbreitung des Virus eher begünstigte. Ebenso selbstverständlich war die Zuständigkeit des Nationalstaats für die Bekämpfung der Pandemie und das Ignorieren der europäischen Freizügigkeit. Dieses Bild wurde zu meinem Erstaunen auch von den polnischen Medien, selbst den eher regierungskritischen, unkritisch zurückgespiegelt. Das kollektive „wir“ dominierte, es waren „unsere“ Truppen, die Grenzen bewachten, und es waren „unsere“ Landsleute, die den LKW-Fahrern im Grenzstau halfen. Die nationale Brille prägte auch die Frage, wer denn die Grenzen überqueren solle oder dürfe. In Polen ging es zuerst um polnische Staatsbürger*innen im Ausland und dann um die Frage, wann denn polnische Bürger wieder zum Urlaub das Land verlassen dürften. Der umgekehrte Fall, also dass auch ausländische Arbeitnehmer*innen und Tourist*innen nach Polen einreisen wollten, kam in diesem Bild zunächst schlicht nicht vor und wurde erst dann thematisiert, als sich in den polnischen Küstenorten Protest über ausbleibende Gäste artikulierte. In Deutschland tauchten offen nationale Argumente mit Blick auf Polen weniger auf, allerdings spielte Polen in der deutschen Wahrnehmung der Krise keine größere Rolle – mit anderen Worten: hier zeigte sich erneut die häufig konstatierte Asymmetrie der Grenze in der wechselseitigen Wahrnehmung. Ausnahmen bildeten nur einige lokale Medien, die über die Folgen etwa für Schüler und über die Proteste vor allem von polnischen Bürgern auf beiden Seiten der Grenze berichteten.[4] In Stettin war es, soweit ich es aus der Ferne sehen konnte, nur eine Lokalzeitung, der Kurier Szczeciński, die über die Grenzschließung als Problem für die Region und über Proteste an den geschlossenen Übergängen in Linken / Lubieszyn und Rosow / Rosówek berichtete.[5]
Vor diesem Hintergrund kann es nicht erstaunen, dass entsprechende Bestimmungen der deutschen und polnischen Behörden ganz offensichtlich nicht koordiniert und – wenn überhaupt – nur schlecht transnational kommuniziert wurden. Denn als die polnische Regierung das Überqueren der Grenze durch Berufspendler Anfang Mai teilweise wieder zuließ, hatte die Bundesregierung mittlerweile Quarantänebestimmungen eingeführt, die nun das Überqueren der Grenze nach Deutschland behinderten. Die mangelhafte oder schlicht nicht vorhandene Koordination setzte sich auch nach den erneuten Grenzöffnungen im Juni fort. Die Entscheidung der polnischen Regierung folgte erst mit einiger Verzögerung nach den Ankündigungen in Deutschland und anderen europäischen Staaten und ließ zunächst nur ungenaue Rückschlüsse auf die Praxis an den Grenzübergangsstellen zu. Erst mit dem Wegräumen der Barrikaden war klar, dass die Grenzen nun tatsächlich wieder offen waren. Das galt allerdings nicht uneingeschränkt, denn Mecklenburg-Vorpommern untersagte polnischen Bürger*innen auch weiterhin die Einreise.

Das, was ich hier beschrieben habe, muss allerdings noch ergänzt werden. Zunächst durch Beobachtungen aus meiner Zwangspause in Westfalen: Das plötzliche Ziehen räumlicher Grenzen, die zuvor im alltäglichen Leben eher unwichtig waren, war nicht allein ein deutsch-polnisches Problem, sondern etwas, was in Deutschland auf vielen Ebenen zu beobachten war, wie etwa in Schleswig-Holstein in dem Verbot der Einreise für Personen, die dort nicht ihren ersten Wohnsitz haben. Ähnliches gilt aber auch für soziale Grenzziehungen: So schloss die Universitätsbibliothek Münster diejenigen von der Nutzung aus, die nicht der Universität angehörten, selbst wenn sie einen gültigen Ausweis hatten. Das zugrundeliegende Handlungsmuster, so scheint es mir, war eine a priori Unterscheidung von „wir“ und „sie“, über deren konkreten Nutzen für die Pandemiebekämpfung man streiten kann.
Dann aber auch durch einen historischen Rückblick: Berichte über die Cholera-Epidemie in Preußen in den 1830er Jahren erscheinen auf einmal von erstaunlicher Aktualität. Von der militärischen Absicherung der Staatsgrenze durch einen Sanitärkordon und widersprüchlichen Anordnungen zur Quarantäne, der Einführung von „social distancing“ auf Wochenmärkten, bis hin zum Widerwillen vieler Personen, die ökonomischen und sozialen Einschränkungen zu akzeptieren. Der Versuch, den Erreger durch das Schließen von Grenzen fernzuhalten und ihn dadurch zu bekämpfen, indem er als ausländisch gekennzeichnet wurde, war freilich vergeblich. Da wir über die Ursachen der Choleraepidemie natürlich längst Bescheid wissen, erscheinen die behördlichen Maßnahmen aus heutiger Sicht umso absurder. Versetzt man sich jedoch in die Situation, dass die medizinische Bekämpfung noch nicht bekannt beziehungsweise nicht möglich war, dann zeigen sich erstaunliche Parallelen in den administrativen Ersatzmaßnahmen.
Was folgt aus diesen Beobachtungen für die Grenzforschung? Zum einen bedarf mit Blick auf die zeitliche Dimension die Geschwindigkeit des Wandels von Prozessen des De-Bordering zu Re-Bordering größerer Aufmerksamkeit. Zum anderen treten die vielfachen Asymmetrien zwischen den in der Grenzregion Agierenden deutlicher hervor: zwischen zentralen und regionalen Behörden, aber auch zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen beziehungsweise privaten Akteuren, deren Handlungsmöglichkeiten in der Krise radikal beschnitten wurden.
Juli – Oktober 2020
Nachsatz im Dezember 2020:

Die zweite Welle der Pandemie im Herbst hat – soweit ich das beobachten konnte – zunächst nicht zu erneuten gravierenden Einschränkungen in der Durchlässigkeit der deutsch-polnischen Grenze geführt. Zwar ist Anfang November die Zahl der Zugverbindungen zwischen Stettin und Deutschland – auf Anordnung polnischer Behörden und offensichtlich ohne Konsultation mit der Deutschen Bahn – deutlich reduziert worden,[6] ich bin jedoch keiner Kontrolle begegnet, die etwa den Zweck der Reise oder die Dauer des Aufenthalts jeweils auf der anderen Seite der Grenze überprüft hätte. Insgesamt scheint der grenzüberschreitende Verkehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln allerdings deutlich zurückgegangen zu sein. Mit der Verhängung der „nationalen Quarantäne“ in Polen ab dem 28. Dezember sind die Bahnverbindungen allerdings erneut vollständig eingestellt worden. Doch anders als im Frühjahr sind die Regelungen zum Überqueren der Grenze genauer geregelt. Es darf angenommen werden, dass der grenzüberschreitende Verkehr weitgehend zum Erliegen kommen wird.
Für ein Fazit, welche einschränkenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie unvermeidlich waren und sind, mag es noch zu früh sein, aber der Schrecken über die Ohnmacht, die das Re-Bordering als ein Rückfallen in die Epoche undurchlässiger Grenzen und in die Dominanz nationalstaatlichen Handelns in der Grenzregion hinterlassen hat, wird so schnell nicht verfliegen.
Jörg Hackmann ist Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Stettin.
[1] Siehe beispielsweise die Beiträge von Norbert Cyrus und Peter Ulrich vom 4.5.2020 und Jarosław Jańczak vom 9.6.2020.
[2] Małgorzata Klimczak, Prezydent Andrzej Duda o zagrożeniu koronawirusem, in: Głos Szczeciński, 11.3.2020 [https://gs24.pl/szczecin-prezydent-andrzej-duda-o-zagrozeniu-koronawirusem/ar/c1-14851927]
[3] Bogdan Twardochleb, Grenzregionen in Zeiten der Pandemie, in: Dialog 131 (2020), 22-28.
[4] Etwa im Tagesspiegel: Oliver Bilger, „Wir wollen nicht, dass unser Leben in zwei Stücke gerissen wird.“ Polen will das Virus aussperren – und sperrt Tausende Deutschland-Pendler ein. Die fürchten um die deutsch-polnischen Beziehungen. Und um Europa, in: Der Tagesspiegel, 29.04.2020 [https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/pendler-protestieren-an-der-polnischen-grenze-wir-wollen-nicht-dass-unser-leben-in-zwei-stuecke-gerissen-wird/25783824.html].
[5] Etwa: Protest w Rosówku: Otwórzcie nam granice!, in: Kurier Szczeciński, 24.04.2020 [https://24kurier.pl/aktualnosci/wiadomosci/protest-w-rosowku-otworzcie-nam-granice/]; s. auch https://www.youtube.com/watch?v=KRB8DsZcIY4.
[6] https://www.dw.com/pl/z-rozkładu-jazdy-wypadła-większość-połączeń-z-berlina-do-szczecina/a-55553234.